Zeitzeugengespräch mit Nadja Klier und Ingo Hasselbach
- Redaktion
- 20. Okt.
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Aktualisiert: 25. Okt.
Mit 70 Gästen gut besucht war die Veranstaltung am 16.10.2025 im Musiksaal in Falkensee. Eingeladen hatte der Verein care4democracy in Kooperation mit der Bundesstiftung Aufarbeitung. 35 Jahre deutsche Einheit bildeten den Anlass für das Projekt „Nachgefragt DDR“, bei dem in einem Zeitzeugpräch mit Nadja Klier und Ingo Hasselbach zwei besondere Lebensläufe mit DDR-Diktaturerfahrung im Fokus standen.

Zum Einstieg beschrieb Nadja Klier wie ihre Mutter Freya (Schauspielerin, Filmemacherin) in den Fokus der Staatssicherheit geriet, gemeinsam mit ihrem damaligen Ehemann, dem Liedermacher Stephan Krawczyk. Beide übten Kritik an dem ihnen willkürlich auferlegten Berufsverbot. Klier erlebte als Jugendliche die Festnahme ihrer Mutter. Zum Glück hatte diese eine Vorahnung und ihrer Freundin, Ulrike Poppe, eine Vollmacht ausgestellt. So konnte sich diese um Nadja kümmern, während die Mutter im Gefängnis war. Getrennt voneinander wurden die Ehepartner mit dem Vorwurf der „landesverräterischen Agententätigkeit“ und der Aussicht auf Höchststrafe massiv unter Druck gesetzt. Dies geschah unter Mitwirkung ihres Rechtsanwaltes Wolfgang Schnur, der später als Stasi-Spitzel enttarnt wurde. Klier und Krawczyk ließen sich unter diesem erpresserischen Zwang auf die Abschiebung in den Westen ein. Nadja hatte nur kurz Zeit, ein paar persönliche Gegenstände zu packen, da sie erst am Abend vorher von der Maßnahme erfuhr. Gerade 15 Jahre alt geworden, wurde ihr schmerzlich bewusst, dass ein einschneidender Eingriff in ihr Leben erfolgte. Sie habe es als Schock empfunden. Bereits früh war ihr klar, dass trotz guter schulischer Leistungen, ihr der Zugang zum Abitur durch den Staat verwehrt sein würde. Gerne wäre sie Schauspielerin geworden, da sie bereits Spaß an dieser Arbeit gefunden hatte: 1984 als Hauptdarstellerin in dem Film „Gritta von Rattenzuhausbeiuns“. Aufgrund der Ausbürgerung am 2. Februar 1988 konnte sie jedoch den Termin für ihre Aufnahmeprüfung an der Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" nicht wahrnehmen. Ihr Abitur konnte sie dann aber in West-Berlin machen und wurde schließlich Fotografin.

Ingo Hasselbach, Jahrgang 1967, entstammt der Beziehung zweier staatstreuer DDR-Journalisten. Seine Neigung, gegenüber Autoritäten zu rebellieren, führte bereits in der Schule dazu, dass er als Rowdy eingestuft wurde. Als Jugendlicher bekannte er sich zum Punk. Dieser sei auch im Osten Ausdruck des Widerstandes gegen Autoritäten gewesen, aber diese Subkultur war nicht mit einer bewussten politischen Motivation verbunden. Als er schließlich öffentlich ruft, die Mauer müsse weg, wird dieses Vergehen 1987 mit einer neunmonatigen Haftstrafe geahndet. Weitere Inhaftierungen folgen, u.a. nach einem Republikfluchtversuch. Er beschreibt, wie er als Jugendlicher in die Mangel der Stasi gerät und chancenlos und ohne Zukunftsaussichten systematisch abgestempelt wird. Hasselbach konstatiert, dass die Inhaftierung der Jugendlichen nur dem Zweck dienen sollte, diese als Menschen zu brechen und nicht mit einem pädagogischen Resozialisierungskonzept einhergingen.
Die Flucht in den Westen gelingt ihm wenige Tage vor dem Mauerfall. Da er im Gefängnis von Schwerkriminellen und Altnazis (Kriegsverbrechern) geprägt wurde von einem gemeinsamen Hass auf den Staat, der ihnen die Freiheit nahm, gerät er schnell mit den westdeutschen Neo-Nazis Christian Worch und Michael Kühnen in Kontakt. Diese sehen in seiner Person großes Potenzial und unterstützen ihn ideologisch beim Aufbau der rechten Szene im Osten. Hier wird er zum Star: Er wird Hausbesetzer und gründet mit Mitstreitern dort die Zentrale der Rechten in Berlin. Die Medien stilisieren ihn zum „Führer von Berlin“. Hasselbach bestätigt die Erkenntnis von Bernd Wagner. Jener war Oberstleutnant bei der DDR-Kripo und Leiter der „AG Skinhead“. Er ermittelte die Zahl von 15.000 Rechtsradikalen in Ostdeutschland. Diese waren jedoch zunächst nicht in Gruppierungen aktiv. Eine Mobilisierung mit Gruppendynamik ergab sich erst unmittelbar nach dem Mauerfall, da hier eine Art „rechtsfreier Raum“ entstanden war. Für eine Eindämmung gegen das Erstarken der Rechten fehlte es an handlungsfähigen Autoritäten, die Volkspolizei war in einem rechtsfreien Raum zum Zuschauen degradiert. Dadurch verselbständigten sich die sog. Baseballschlägerjahre.
Entscheidenden Einfluss auf den Ausstieg Hasselbachs aus der Neonaziszene hatte der Filmemacher Winfried Bonengel. Dieser hatte als Dokumentarfilmer über Hasselbach und dessen Szene berichtet und ihm immer wieder kritische Fragen gestellt, die ihn zur Selbstreflexion seines Handels geführt hatten. Auf Augenhöhe habe dieser auf ihn eingewirkt. Der Brandanschlag von Mölln in der Nacht auf den 23. November 1992 führte ihn dann sofort zur endgültigen Abkehr aus der rechten Szene, da ihm klar wurde, dass er als geistiger Brandstifter Verantwortung für die Ereignisse trug. Als Abtrünniger der sektiererischen rechten Szene befand er sich anschließend in Lebensgefahr. Zunächst flüchtete er deswegen nach Frankreich. Später gründete er mit Bernd Wagner, Udo Lindenberg und weiteren Akteuren die Organisation “Exit Deutschland“, die heute weiterhin Unterstützung bei Ausstiegswilligen leistet.

Beide Zeitzeugen sehen in dem neuen Erstarken der Rechtsextremen eine Gefahr für unser Land. Es gelte, sich autoritärem und diktatorischem Gedankengut entgegenzustellen, insbesondere dann, wenn eine gesichert rechtsextreme Partei mit Präsenz im Bundestag, erneut Hass schüre. Deshalb sei es auch innerhalb der Familie im Gespräch am Küchentisch notwendig, das verfassungsfeindliche Gedankengut der rechten Szene zu thematisieren. Auch für Schulen wäre dieses Veranstaltungsformat optimal geeignet, aufzuzeigen, wie in einem totalitären Staat jegliche Freiheit und Individualität unterdrückt wird.
Die Fotos wurden angefertigt von Max Schlehuber.
Auf dem Gruppenfoto sind folgende Personen von links nach rechts abgebildet:
J. Hoheisel, T. Adam (bd. Bundesstiftung Aufarbeitung), Silvia Schaak, Dr. Tom Schaak (bd. care4democracy e.V.), Nadka Klier, Ingo Hasselbach (bd. Zeitzeugen)




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